GYULA KRUDY,

WIE IHN SEINE TOCHTER SAH

Die Tochter des berühmten Schriftstellers Gyula Krudy, Zsuzsa Krudy charakterisiert in anmutiger Weise die Lebensart und dichterische Tätigkeit ihres Vaters im folgenden:

„Ein einziger Wunsch beseelte mich:

„Schriftsteller wollte ich werden!”

Diese Worte stammen von Gyula Krudy. Der Fünfzigjährige schrieb diese Erinnerung nieder. Ein treffenderes Bekenntnis wäre kaum denkbar gewesen.

Krudy arbeitete von seinem dreizehnten Lebensjahr bis zu seinem Tode, der ihn früh – sehr früh – im fünfundfünfzigsten Lebensjahr ereilt. Unter Arbeit ist das SCHREIBEN zu verstehen: das ist seine grösste Leidenschaft, sein Lebenselement. Nichts konnte ihn daran hindern, weder Krankheit, noch der Wein, der ihn in späteren Jahren immer mehr im Banne hielt. „Allmächtiger, was soll aus mir werden, wenn ich einst nicht mehr werde schreiben können! ...” rief er aus während einer seiner schwersten Perioden, als er krank darniederlag, so schwach dass der Bleistift seinen Händen fast entfiel...

Vom frühen Morgengrauen bis zu Mittag sass er unentwegt an seinem Arbeitstisch und produzierte Legionen der lilafarbenen, winzigen Lettern, die so cha­rakteristisch für ihn waren. 16 Seiten waren seine „Tagesration”. Wie hätte er auch sonst 120 Bände schreiben können, wenn er sich mit weniger begnügt hätte. Noch heute gibt es unzählige Novellen, Glossen und Artikel in Zeitschriften, Revuen und Zeitungen, sogar Manuskripte von Romanen, die noch kein Verleger gesehen, darunter solche, wie „Das Leben von Frigyes Podmaniczky”, „Die Kossuth-Jungen” und „Eszter Solymosi von Tiszaeszlár”.

Seine Zeitgenossen behaupten: Krudy wisse Bescheid über alles. In der Tat, es war erstaunlich, welch unglaubliches Volumen er aus den verschiedensten Wissensgebieten beherrschte. Sein Hirn war ein Archiv seltsamster Begebenheiten, tollster Geschichten – ein Pitaval sondergleichen. Er gehörte nicht zu jenen in Sphären wandelnden, lebensfremden Rittern, zu den ihn seine ungebetenen Gönner glauben machen wollten.

Ein durch und durch realistischer Beobachter, wie er einer gewesen, war allem Unwahren abhold, „Wort für Wort” musste es wahr sein was er schilderte – nur sein unnachahmlicher Wortgebrauch, die unvergleichliche Musik seiner Worte verliehen seinem Stil die persönliche Krudy – Note.

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Er kannte eine Unmenge von Menschen – in Budapest und auf dem Lande; aus jeder Gesellschaftsschichte, aus jedem Berufskreis besass er Bezugsquellen, welche ihn mit Nachrichten, erlebten Geschichten versorgten. Er hatte eine besondere Gabe, Menschen sprechen zu lassen, wovon sie auch reichlich Gebrauch machten. Er schwieg, während die Leute sprachen, Nichts hiess ihn uninteressiert, mag es sich auch um ein völlig fremdes Terrain gehandelt haben.

Als Kind bat er die Grosseltern innigst, sie mögen ihm aus der Familienchronik erzählen. Besonders Geschichten über die Erlebnisse seiner Ahnen, die im Freiheitskrieg zu den Verteidigern der Burg Komárom gehörten, packten das Interesse des für sein Alter viel zu aufgeweckten Jungen.

Krudys Vater leitete das Budapester Honvédasyl. Da hatte der junge Krudy die gegebene Gelegenheit, sich auszutoben. Stundenlang sass er im Kreise der Veteranen der alten Haudegen die unzählige Begebenheiten und Geschichten zu erzählen wussten. Hier entstand die Grundidee des Romans: „Rotmützen” (Pirossapkásak).

Dann suchte sich der Junge zwei „Alte”, die, ein jeder ein lebendes Lexikon, die anscheinend unzähmbare Wissbegierde des Jungen zumindest zeitweilig zu stillen versuchten. László Kálnay Rechtsanwalt und Schriftsteller und Julius Gaál pensionierter Schauspieler bekundeten väterliches Verständnis für den aufgeweckten Jungen, der die ganze Welt, das ganze Universum mit allen wechselvollen Geschehnissen, Geheimnissen und Wundern in sich aufnehmen möchte.

Ein unglaublich reiches Tatsachenmaterial ist diesen Gesprächen zu verdanken, deren Spuren wir in beinahe allen seinen Romanen zu finden vermögen.

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In wahllosem Kunterbunt finden wir dann unter seinen „Freunden”, die er während der späteren Jahre „anhört”, fast alle Berufsschichten: Schriftsteller, Jockeys, Strassenverkäufer, Trafikanten, Blumenmädchen, Friseurgehilfen, Portiers, Fiaker, Artisten, Reporter und Passanten...

Im Presseclub „Otthon” wird er schon in der Vorhalle, in der Garderobe freundlichst empfangen, und mit Nachrichten traktiert. Mit majestätischer Ruhe und Gelassenheit empfing er den Redeschwall der ihn umringenden Journalisten; nur manchmal, wenns zu toll ging, ertönte seine Stimme, aber dann gab es kein Appellieren – denn Krudy hatte immer recht.

„Das stimmt nicht Freund” sagte er, „das ist zu dick aufgetragen.”

Als wir auf der Margareteninsel wohnten; baute er seinen „Kundenkreis” sofort aus: er unterhielt freundschaftliche Beziehungen mit den kommunalen Angestellten, mit den Tagelöhnern, die auf der Insel arbeiteten, aber er vergass auch die Waschfrauen nicht. – Gyuri bácsi, der Pförtner, wusste über die Stiefel von Arany János zu berichten, nicht ahnend welch wichtige Einzelheiten er der Verewigung Arany's geliefert...

Er war ein leidenschaftlicher Leser. Die russische Literatur lag ihm am nächsten. Puschkins Onegin war seine Lieblingslektüre, die er immer bei sich trug. Ausser den russischen Klassikern las er vorwiegend Heine, Rilke und Thomas Mann.

Zsuzsa Krudy

 

(Freies Leben /Budapest/, 1956/14. /április 7./ 1. p.)