Mein Vater, Gyula Krudy
Genau vor 90 Jahren, am
21. Oktober 1878, wurde Gyula Krúdy in Nyíregyháza
geboren. Anlässlich dieser Jahreswende bringen wir den Artikel seiner Tochter,
die in ihm den Lebensweg und die Arbeitsmethoden ihres am 12. Mai 1933 in Budapest
verstorbenen Vaters nachzeichnet. Krúdy stellte in
seinen Werken den Zerfall der Gentry-Höfe auf dem
Lande und das Leben der Kleinbürger in der Hauptstadt dar; die alte Josefstadt,
die Umgebung der Theresienkirche, Óbuda,
die Margareteninsel und die Innenstadt von Budapest sind die Schauplätze seiner
Romane und Erzählungen, die sich durch einen musikalischen Stil, durch eine
suggestive Traumwelt und eine einzigartige Verschmelzung von Ironie und
Nostalgie auszeichnen.
*
Mein Vater,
Gyula Krúdy, war ein Mann von stattlichem Wuchs, mit
sanften Kinderaugen; es ging ein suggestiver Zauber von ihm aus. (Er erhielt
zeit seines Lebens viele Liebesbriefe, über die sich meine Mutter natürlich gar
nicht freute...)
Er stammte aus einer romantischen Ehe. Sein Vater war Rechtsanwalt, seine
Mutter ein einfaches, aber kluges und schönes Bauernmädchen, das kaum 15 Jahre
alt war, als Gyula Krúdy geboren wurde.
Krúdy war 13 Jahre alt, als seine erste Schrift im
Druck erschien, und er hörte von diesem Zeitpunkt an nicht auf, fleissig zu schreiben. „Ich wurde zum Schriftsteller und zu
nichts anderem geboren” — sagte er von sich selbst.
Die verschiedensten Zeitungen veröffentlichten regelmässig
seine Schriften, ohne zu ahnen, dass der Autor ein Gymnasiast war. Und da: er
auch anstatt zu lernen lieber schrieb oder las, waren seine Eltern unglücklich
über die literarischen Versuche des Jünglings. Krúdy
jedoch setzte seinen Willen durch und verliess nach
dem Abitur das Elternhaus, um Journalist zu werden. Er arbeitete zuerst in der
Provinz, dann in der Hauptstadt. Doch musste er noch sehr viel arbeiten und
lange warten, bis er wirklich bekannt wurde. Sein bei uns bisher neunmal
erschienener, auch in deutscher, englischer und tschechischer Sprache
veröffentlichter Roman „Die rote Postkutsche” brachte ihm den ersten
durchschlagenden Erfolg.
Niemals habe ich ihn untätig gesehen. Er sass vom
frühen Morgen bis Mittag am Schreibtisch. Mit seinen kleinen zierlichen
Buchstaben, mit seiner spitzen Feder und lila Tinte schrieb er fast ohne
Korrektur Zeile um Zeile. Nur hie und da hielt er eine kleine Pause, um seine
erstarrten Arme und Finger zu bewegen. Sein Pensum waren 16 Seiten täglich! Krúdys grösste Leidenschaft war
bis zu seinem, im 54. Lebensjahr eingetreten Tod, das Schreiben. Er schrieb 50
Romane, 4000 Novellen, ungefähr ebenso viele Zeitungsartikel und 10
Theaterstücke.
Wenn man seinen Zeitgenossen glauben darf, hat er „alles gewusst”. Woher
stammten seine ungeheueren Sach-, Material- und Angabenkenntnisse? Woher kannte er alle wichtigen
Ereignisse und Probleme seiner Zeit? Wie konnte er die Geschehnisse vergangener
Jahrhunderte so unmittelbar wachempfinden?
Seine Hauptquellen waren seine Lektüren, Nachforschungen, seine ausgedehnte
Korrespondenz und die Gespräche mit Bekannten und Unbekannten. Sein
Freundeskreis war grass; Schriftsteller, Maler,
Schauspieler, Kellner, Jockeis, Friseure usw. erzählten ihm täglich ihre
Geschichten und die Neuigkeiten des Tages. Viele Menschen suchten Krúdys Gesellschaft, obwohl er wortkarg, still und
bescheiden war und von sich und seinen Werken fast nie sprach. Er war
freundlich, liebenswürdig, aber nicht mitteilsam.
Trotz seiner Erfolge hatte er immer mit materiellen Sorgen zu kämpfen,
besonders nach dem ersten Weltkrieg. Mit der Verschlechterung der
wirtschaftlichen Verhältnisse wurde es immer schwieriger, seine Schriften
unterzubringen.
Einer seiner Würdiger stellte folgendes fest: hätte Krúdy
englisch, französisch oder deutsch und nicht in der isolierten ungarischen
Sprache geschrieben und — geträumt, hätte er seinen Platz unter den
Unsterblichen der Weltliteratur gefunden, und sein Werk würde man an allen
Universitäten der Welt lehren.
Zsuzsa Krudy
(Neue Zeitung,
1968/43. /október 25./ 4. p.)