Krudy – Márai

Von Béla Pogány

Tatsächlich, sein Name fehlt. Auch wenn man die Kataloge der Neuerscheinungen zum Büchertag zwanzigmal durchblättert, sieht man mit Bedauern, daß neben den vielen schönen ungarischen Büchern auf der langen Liste der farblosenKlassiker” und hoffnungslosen Neuen ein Schriftsteller nicht vertreten ist, der – welche literarischen Stürme auch über das heute träge regungslose ungarische Kulturfirmament hinziehen mögennie außer acht gelassen und auch vorübergehend nicht vergessen werden darf. Julius Krudy ist am diesjährigen Büchertag mit keinem einzigen Buch vertreten, obwohl er, wenn auch nicht der Mode folgend, so doch im Interesse der geistigen Welt der Nation vertreten sein müßte.

In den folgenden Zeilen möchten wir, mit treuloser Verzögerung, über die Besprechung des unvergeßlichen Buches von Alexander Márai: Szindbád hazamegy (Sindbad kehrt heim) der in der Erinnerung Tag für Tag wachsenden Gestalt Julius Krudys huldigen. Mit einigen Worten, die darauf hinweisen wollen, was uns Ungarn dieser in Herbstnebel gehüllte, in tiefem dürren Laub dahinschreitende große Schriftsteller bedeutet hat. Ist aber dieses Unternehmen nach dem herrlichen Sindbad-Epilog Alexander Märais keine vergebliche Mühe?

Ich glaube, doch nicht. Denn man kann nicht mit jedermann so einfach sprechen, wie Márai mit den Kéhlis, dem Oberkellner mit dem roten Schnurrbart, den Schriftstellern, den Frauen, den Jockeis, den Schiffern und den Herren gesprochen hat, „die ihn kannten und liebten und die Welt beweinten, der er nachgestorben ist”. Die folgenden Zeilen müssen trotz Márai geschrieben werden, weil die Welt, der Julius Krudy nachgestorben sein soll, damals schon lange nicht gelebt hat, nur Krudy träumte sie mit seiner Phantasie, seinem kräftigen und sieghaften ungarischen Gefühl zurück. Er weinte und trauerte einer Zeit nach, die sich nicht mit modischen und hohlen Attributen versah, sondern über alles ungarisch empfand. Gerade heute – da er mit keinem Werk am Tag des Buches vertreten istmuß es ausgesprochen und jedermann ins Gedächtnis eingeprägt werden, daß Krudy der treueste ungarische Schriftsteller seines Zeitalters war, ohne daß man dies in der Heimat oder jenseits der Landesgrenzen wahrgenommen hätte. Seine Gestalten lebten, bewegten sich und handelten für sich, aber sein schriftstellerisches Wirken stand im Dienste einer einheitlichen ungarischen Traumwelt, und alle seine Bücher waren Bestandteil und Fortführung seines einheitlichen großen Gesamtwerks. Sie dienten durchweg, ohne Aufsehen, ohne marktschreierisches Feilbieten, ohne Reklame hingebungsvoll dem Leben des Ungartums. Sämtliche Schriften Krudys waren demütige und stolze Diener eines einzigen Herrn: der ungarischen Nation, des ungarischen Gedankens, des ungarischen Lebens.

Julius Krudy selbst wurde sich dessen, in dieser Form, niemals bewußt. Er wollte nie nationalen und vaterländischen Zielen dienen, er konnte einfach nicht anders. Er war Ungar in einer so selbstverständlichen Weise., wie er atmete. Er gehörte nur uns allein, ein Ungar von echtem Schrot und Korn, ohne sich beirren zu lassen, und auch wenn ihn Herr Felveghy, der über in Lederfutteral gehüllte Havannacigarren und in Saffiansäckchen genähte Goldbarren verfügte, mitunter zu Sacher in der Kaiserstadt verlockte, war er es, von dem Márai mit Recht sagen durfte:

Sindbad wußte alles von den Ungarn und er polterte und schimpfte den ganzen Tag, er schimpfte sie wegen ihrer kleinmütigen Lebensangst, ihrer Neigung zur Maßlosigkeit, ihrer schüchternen Schamhaftigkeit aus, er schimpfte über alles, weil er sie liebte. Er schrieb vor allem, weil er sein Vaterland liebte, er polterte gegen die Nation, denn er wollte gern ihre Kräfte zu neuem Leben wachrütteln.

Und doch galt Krudy im öffentlichen Bewußtsein mehr oder weniger als ein angenehmer Sänger des ungarischen flachen Landes und des alten Pest. Wem ist es aber außer Alexander Márai und einigen weiteren Krudy-Schwärmern klar geworden, daß die große ungarische nationale Erneuerung über wenige so glänzend gerüstete und eine so beizwingende Begabung aufweisende Vorkämpfer verfügte wie Krudy. Wir müssen jenen Krudy kennenlernenwenn auch nach seinem Tode –, den uns Márai in seinem Buch vorstellt. Jenen ungarischen Herrn, der in dem von Óbuda her nach dem Dampfbad ruckelnden Fiáker mit seitwärts geneigtem Kopf dasaß und nachsann, der „sich in das verhängnisvolle Abenteuer der Literatur verirrt hat”, der statt des Ausschwärmens der Bienen, des Abzapfens des jungen Weines und statt der heiteren Welt der winterlichen Treibjagden die Sorgen der mit sechzig Pengő bezahlten Novellen und das Budapester Leben auf sich nahm, wo ihm Kellner, Masseure und Kutscher huldigten und der aus der Küche des „Hotel London” strömende Geruch, der „den seltenen und lieben Gast wie ein schwerfälliger alter Hund mit schäbigem Fell schweifwedelnd empfing”. Denn Julius Krudy ist nie zu einem Budapester Menschen und Budapester Schriftsteller geworden, sondern er blieb ein in Budapest lebender und schreibender Herr vom Lande. Dies zeigt uns klug und unwiderlegbar das Buch Alexander Márais. Auch Krudv, wie jeder ungarische Herr vom Lande, „liebte Budapest mit stolzer Liebe, lebte aber argwöhnisch in der Stadt”: vergeblich verbrachte Sindbad Jahrzehnte in der schönen, unruhigen, aufstrebenden und klugen Stadt, wirklich ruhig war er nur, wenn er seinen Kopf manchmal auf die ein wenig nach Mäusen riechenden Kissen eines Gasthauses in der Provinz legte.

Denn er hatte einen unlöschbaren Durst nach allem, was ungarisch und ländlich war, er mußte darüber schreiben. Er wollte mit seiner Feder, mit Buchstaben, mit leuchtenden Worten und bannenden Sätzen alles bewahren, was ungarisches Erbe war, er seufzte den breiten Landstraßen nach, den braunen Schollen, den bunten Landschaften, die er durchstreift hatte, den traulichen Stuben, den ländlichen Gastwirtschaften und den kleinen ungarischen Schenken, in denen er unvergleichlich lieber lebte als in Budapest als Herr vom Lande, der im grell beleuchteten Kaffeehaus am Ring den Kinnspeck des Metzgers von der Bácska , mit derben Brot von Soroksár und grünem Paprika von Kalocsa.

Aber auch aus anderen Gründen mußte Krudy Schriftsteller werden. Vor allem, weil erwie Márai feststellt – au einer Zeit zum Herrn und Schriftsteller geboren wurde, in der man wirkliche Herren und wirkliche Schriftsteller nicht mehr brauchte. In dieser Welt doch Herr und Schriftsteller zu sein, – das war eine Aufgabe für Krudy. Das fühlte und wußte er auch selbst und er fragte sich manchmal verwundert, was er eigentlich noch unter den Menschen zu suchen hat? „Ich muß irgendein Zeichen hinterlassendachte er In solchen Augenblicken mit geschlossener! Augen –, daß es auch ein anderes Ungarn gegeben hat.” Dieses andere, nicht nur in Worten und Paraden, aber auch im Herzen ungarische Land bedurfte des Schriftstellers, der das tröstliche und erquickende Bild jener Welt als Vermächtnis hinterließ. Diese Aufgabe hatte er zu erfüllen, denn als wir voller Verzierungen und Verschnür rungen waren, vermochte Krudy in lauterer Weise, ohne Absichten, Nebengedanken und Geschmacklosigkeiten ungarisch zu sein; er wußte, daß alles, was vergangen ist und einmal schön war, – für immer lebendig bleibt.

Kosztolányi schrieb über Krudy, seine Haltung sei einStarren auf die Vergangenheitgewesen. Es war aber schön und es war auch nützlich, daß ihm gegeben war, für künftige Generationen zu träumen, denn heute werden die Menschen immer seltener, die noch zu träumen vermögen.

 

(Pester Lloyd /Morgenblatt/, 1941/125. /június 4./ 3. p.)