LACHENDE
LITERATUR
GYULA KRUDY
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Gyula Krudy |
Sein ganzes Leben lang wurde er zurückgesetzt, oft zu Entbehrung gezwungen –
nach seinem Tode rühmte man ihn. Er ist eine der bedeutendsten Persönlichkeiten
in der ungarischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Seine Romanhelden waren
stets sehr beliebt, doch er selbst war auch wie ein Romanheld, ein wahres
Vorbild der Männlichkeit. In letzter Zeit finden seine herrlichen Schöpfungen
auch im Ausland, vornehmlich auf deutschem Sprachgebiet, großen Anklang.
Zeit seines Lebens stand er mit seinen Gläubigern auf dem Kriegsfuß. Ein
Riesenoeuvre bewahrt sein Anden-ken, doch konnte er
nie so viel Geld zusammensparen, um ein Jahr lang ungestört in Ruhe arbeiten zu
können. Der wortkarge, schweigsame Riese richtete seine Bitter} an Verleger,
Wucherer und Freunde, meist nicht mündlich, sondern schriftlich. Andor Kellér, der trotz des großen Altersunterschiedes sein
intimer Freund war, zeichnete folgende charakteristische Episode über ihn auf:
„In einem Kaffeehaus in Ungvár geriet er in eine
kritische Geldverlegenheit. Er konnte seine Zeche nicht begleichen. Er
kritzelte einige Zeilen auf ein Blatt Papier, und sandte es einem Freund Vin
der Nachbarschaft: „Bitte, schicke mir zwanzig Kronen. Morgen gebe ich Sie dir
wieder.’’
Keller fügt hinzu: „So sehr haben ihm die Kronen gefehlt, daß er sie personifizierte und ’Sie’ mit großem
Anfangsbuchstaben schrieb.
Trotz seiner riesigen Stärke war er der sanfteste Mensch auf Erden, immer
bereitwillig, stets höflich. Wurde er aber beleidigt oder geärgert, kannte er
keinen Spaß.
In einem Café-chantant suchte ein als Krakeler bekannter Husarenoffizier Händel mit ihm. Stumm
ertrug er die Beleidigung, doch als der Offizier an seinen Tisch trat, um ihn
handgreiflich zu insultieren und nach seinem Säbel griff, packte ihn Krudy in einem Augenblick wie ein Paket, nahm ihm den Säbel
ab und warf den Husarenoffizier auf die Straße. Nach den damaligen Sitten wurde
aus der Affäre selbstverständlich ein Duell, und Krudy,
der sich kaum auf die Kunst des Fechtens verstand, verwundete den
Berufssäbelfechter schwer.
Die Geschichte hatte einen skandalösen Ausklang. Der Herr Offizier überfiel
Krudy einige Wochen später und versetzte ihm von
hinten, meuchlerisch, einen Hieb mit dem Schwert. Wegen der feigen Insultation
wurde er degradiert.
Krudy war kein humorvoller Mensch. Nie erzählte er
Witze, konnte „geistreiche” Bemerkungen nicht leiden. Doch hatte er originelle
Geschichten. Von diesen dürfte sein Fall mit Onkel Oskar besonders interessant
sein.
Onkel Oskar war ein freundlicher, weißhaariger Herr, seinem Beruf nach
Märchenerzähler. Er erzählte auf Matineen, wurde auch bei reichen Familien zu
einem Kinderjour eingeladen. Er war ein Verehrer von Krudy, wie jederman, der zur Welt
der Literatur oder zur Boheme gehörte.
An einem frühen Morgen war Krudy eben auf dem
Wege ins Dampfbad, als er Onkel Oskar traf. Er lud ihn ins Bad ein. Als sie bis
zum Hals im heißen Wasser saßen, fragte Krudy den
Märchenerzählen „Wieviel zahlt man Ihnen, für eine
Stunde als Erzähler „Zehn Kronen”, versetzte Onkel Oskar stolz.
„Bitte, hier sind zwanzig Kronen, und jetzt erzählen Sie mir zwei Stunden
lang.”
Vergebens sträubte sich Onkel Oskar, Krudy setzte
seinen Willen durch, und der beliebte Märchenonkel der Kinder hub an: „Es war
einmal, weit über Berg und Tal...”
Im Morgengrauen saß er itn Otthon-Klub,
machte im Stuhl ein Nickerchen. Einmal schreckte er auf.
„Wie spät ist es?”, fragte er einen Freund, der noch immer Karten spielte.
„Halb acht, Gyula. Warum gehst du nicht nach Hause?’’ Der Schriftsteller
antwortete leise, fast verschämt:
„Um diese Zeit gehen die Kinder zur Schule. Es schickt sich nicht, sie zu
stören....”
Seine berühmte Ruhe ließ ihn nur dann im Stich, wenn seine Frau ein Baby
erwartete. Dann war er äußerst erregt, zerstreut, nervös. Wenn er dann die
Nachricht erhielt, die Geburt sei ordnungsmäßig verlaufen, sagte er mit
strahlendem Gesicht:
„Beim Kartenspiel habe ich immer Pech, doch bei den Geburten habe ich
wenigstem Glück...”
Still und einsam trank er sich in seiner Lieblingsschenke Kehli in Óbuda, zu. Da kam ein
Freund, roch an seinem Glas und fragte:
„Wie viele Nußschnäpse hast du schon getrunken,
Gyula?”
„Den zwanzigsten.”
„Und wie fühlst du dich?” „Würdevoll. Wie ein schöner, alter Nußbaum.”
(stella) [Adorján]
(Budapester Rundschau, 1967/18. /június 30./ 12. p.)